Der Bau des Jühnder Windparks kann unter speziellen Voraussetzungen fortgesetzt werden. Im Frühjahr 2018 hatte das Verwaltungsgericht in einer Eil-Entscheidung verfügt, den Bau zu stoppen. Mit einem Änderungsbescheid, der unter anderem ein neues Brandschutzkonzept und Vorkehrungen zum Artenschutz beinhaltet, wird sich das Gericht jetzt erneut mit der Klage befassen.
„Mithilfe neuer technischer Verfahren, wie dem kamerabasierten Antikollisionssystem können wir nunmehr den Einklang von Artenschutz und Klimaschutz sicherstellen. Wir betreten hier Neuland und zeigen damit, dass wir nach wie vor die Energiewende vor Ort voranbringen wollen, jedoch den Artenschutz nicht aus dem Blick verlieren. Wir hoffen nunmehr, dass das Klageverfahren zügig beendet werden kann, sodass die Antragstellerin mit dem Bau der Windräder in Jühnde endlich fortfahren kann“, so Erste Kreisrätin Doreen Fragel.
Welche Änderungen beinhaltet der Bescheid?
Infolge eines neu eingereichten Brandschutzkonzepts durch die Antragstellerin erfolgt eine Anpassung der Nebenbestimmungen für den vorbeugenden Brandschutz. Des Weiteren werden Änderungen bei den Bestimmungen zum Artenschutz vorgenommen, darunter die Installation eines kamerabasierten Antikollisionssystems zum Schutz des Rotmilans sowie eine generelle Abschaltung und Gondelüberwachung zum Schutz von Fledermäusen. Ebenso wird eine ökologische Baubegleitung für Eingriffe in die Natur durch Rodungs- und Fällarbeiten festgelegt.
Die Nutzung von Antikollisionssystemen ist eine Maßnahme, um das Kollisionsrisiko von windenergiesensiblen Vogelarten mit Windenergieanlagen zu verringern. Seit 2022 sind sie im Bundesnaturschutzgesetz verankert. Ihre Wirksamkeit wird durch Expertenbewertungen geprüft, die den Standards des Kompetenzzentrums für Naturschutz und Energiewende sowie des Bundesamtes für Naturschutz entsprechen. Diese Systeme nutzen Radare und Kameras, um Vögel in der Nähe der Anlagen zu erkennen und bei Bedarf die Anlagen abzuschalten, um Kollisionen zu verhindern. Dies trägt zum Schutz von Vögeln bei, insbesondere von Arten wie dem Rotmilan.
Im Änderungsbescheid sind zudem aufschiebende Bedingungen aus statischer Sicht enthalten. Diese verpflichten den Bauherrn, vor Baubeginn und Weiterführung der Bauarbeiten gültige Typenprüfungen für eine abschließende Genehmigung einzureichen und die bereits errichteten Bauteile auf ihren einwandfreien Zustand von einem Prüfsachverständigen überprüfen zu lassen.
Außerdem beinhaltet der Änderungsbescheid nun eine FFH-Verträglichkeitsprüfung und einen Abschnitt, in dem die während der öffentlichen Beteiligung eingereichten Einwände ausgewertet wurden.
Wie funktioniert das Antikollisionssystem?
Die Verwendung von Antikollisionssystemen in Bezug auf Windkraftanlagen und Rotmilane ist ein neues Konzept. Durch den Einsatz von Weitwinkelkameras können diese Systeme Vögel in der Nähe von Windkraftanlagen erkennen. Im Falle einer potenziellen Gefahr für die Vögel, können präventive Maßnahmen eingeleitet werden, beispielsweise das vorübergehende Stilllegen der Anlage, um Kollisionen zu verhindern. Die Integration solcher Systeme wird durch gesetzliche Regelungen, wie sie in der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) 2022 mit § 45b festgehalten sind, weiter gefördert. Diese Entwicklung verdeutlicht das Bestreben, die Energiegewinnung durch Windkraft mit dem Schutz der Tierwelt in Einklang zu bringen. Die Einführung von Antikollissionssystemen zur Verhinderung von Vogelkollisionen mit Windkraftanlagen ist in mehreren Bundesländern. z.B. in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern, ein Thema. In Schleswig-Holstein wurde vor kurzem die erste Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) erteilt, die den Einsatz eines anerkannten Antikollissionssystems erlaubt. Dieses System soll insbesondere den Seeadler und den Rotmilan schützen.
So geht es weiter
Der Änderungsbescheid wird nunmehr dem Verwaltungsgericht Göttingenzugeschickt. Gleichzeitig wird das Gericht darüber informiert, dass das Verfahren zur Klage des Landesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e. V. fortgesetzt werden soll.
Die ursprüngliche Genehmigung wird durch den Änderungsbescheid nicht sofort rechtsgültig, und der Bau kann nicht direkt fortgesetzt werden, da die Klage noch anhängig ist.
Bevor der Bau des Windparks weitergehen kann, muss das Verwaltungsgericht Göttingen den Beschluss, der den sofortigen Vollzug der Genehmigung aussetzt, aufheben. Anschließend muss der Landkreis Göttingen den Baustopp aufheben, und die Antragstellerin muss die im Änderungsbescheid festgelegten Bedingungen erfüllen.
Hintergrund
Im Zuge der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Göttingen im Jahr 2018, die Genehmigung auszusetzen und den Bau zu stoppen aufgrund festgestellter Verfahrensfehler, hat die Antragstellerin neue Dokumente in das Verfahren eingebracht. Dazu gehörten ein aktualisiertes Brandschutzkonzept, erneuerte Kartierungen von Brutvögeln und Fledermäusen, ein Fachbeitrag zum Artenschutz, ein Bericht zur Umweltverträglichkeitsprüfung sowie ein Gutachten zur FFH-Verträglichkeit. Infolgedessen wurde eine Beteiligung der Öffentlichkeit notwendig, die während der Corona-Krise Ende 2020 bis Anfang 2021 stattfand.
Nach Abschluss der Öffentlichkeitsbeteiligung Ende 2021 kam es aufgrund der von der Antragstellerin vorgeschlagenen, jedoch als unzureichend betrachteten Schutzmaßnahmen für den Rotmilan, zu mehreren fachlichen und rechtlichen Diskussionen. Ab dem Sommer 2022 führten zudem erhebliche gesetzliche Änderungen im Naturschutzrecht und ab dem Frühjahr 2023 im Verfahrensrecht zu der Notwendigkeit, das Verfahren unter Berücksichtigung der neuen rechtlichen Rahmenbedingungen neu zu bewerten.